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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

06. Massaker an den Armeniern in den Jahren 1894-1896, 1909 und an Griechen 1914 vor dem Genozid

Dokument 6.12

Hinweise für Lehrkräfte

Umherziehende Banden greifen griechische Ortschaften an, plündern und morden. Die verlassenen Häuser und Geschäfte werden aus dem Balkan vertriebenen Muslimen zugewiesen. Angereister Innenminister Talaat verspricht öffentlich die insgeheim von ihm ausgelösten Vertreibungen zu stoppen. Regierung hat zum Beweis ihres angeblich guten Willens Beobachter der Großmächte eingeladen. Es ändert sich jedoch nichts. Verbrechen werden nur nicht mehr in aller Öffentlichkeit begangen.

Quelle

Matthias Bjørnlund: www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1914-06-25-DK-001.






Währenddessen konnte niemand sein Haus verlassen.

Aus einem Bericht des dänischen Konsuls in Smyrna an den Gesandten in Kopenhagen vom 25. Juni 1914


Die Banden der Bashibozouks, die in den Süden von Menemen zogen, nachdem sie alle Dörfer auf ihrem Weg geplündert hatten, griffen in der Nacht des 12. Juni [den Ort] Phocea von drei Seiten an und verwandelten ihn in ein Schlachthaus, willig unterstützt von kretischen Arbeitern aus den Salzdepots.

Ein Augenzeuge berichtete: "… Ich sah elf Männer- und Frauenleichen an der Küste liegen. Wie viele getötet wurden, könnte ich nicht sagen, aber als ich versuchte in ein Haus reinzukommen, dessen die Tür nur angelehnt war, sah ich zwei weitere Leichen in der Eingangshalle liegen. Jedes Geschäft in dem Ort war geplündert worden, und die Waren, die nicht weggeschafft werden konnten, waren mutwillig zerstört worden." …

Ein Tross von 600 Muhadjirs [muslimische Flüchtlingen vor allem vom Balkan] wurde in Kato-Panayia angelandet - oder in Assari-Tchilftlik, dem offiziellen Namen -, die die Dorfbewohner aus ihrer Heimat trieben und ihre Häuser und Waren in Besitz nahmen, so dass die rechtmäßigen Eigentümer Nahrung und Unterkunft suchen mussten, wo immer sie diese finden konnten.

Ein anderer Tross wurde nach Chesmé gebracht und marschierte nach Alatsata, dessen Einwohner von Regierungsbeamten gezwungen wurden, ihre Häuser und ihr Eigentum den Neuankömmlingen zu überlassen. …

Der nächste Schritt bestand darin, die Leute aus Chesmé zu vertreiben, und die üblichen Drohungen führten dazu, dass die meisten es vorzogen, freiwillig zu gehen statt fortgetrieben zu werden. Von 13000 Griechen blieben 30 Männer, deren Geschäft sie dazu bewog, der Rest suchte Zuflucht auf [den Inseln] Chios oder Samos.

Da durch die Ausweisung aus den oben genannten Orten sowohl von der Halbinsel Kara Bournou als auch aus der Bucht von Smyrna noch nicht alle Griechen entfernt waren, lenkten die Behörden ihre Aufmerksamkeit nunmehr auf kleinere Orten …

Hier wurde wieder mit Drohungen gearbeitet, und da diese anscheinend nicht unmittelbar wirkten, kam es wieder zu täglichen Morden und Misshandlungen. Die von Panik erfassten Leute … suchten ihre Rettung durch Flucht …

Nach Berechnungen sind zwischen 70-80 000 Personen vertrieben worden. Abgesehen von dem Verlust für die Ausgewiesenen, der sich auf etwa 2 000 000 Pfund beläuft, sind die Folgen für das Land irreparabel. Die Einwohner der Meeresgebiete waren mit Ausnahme der Einwohner von Aivali eine friedliche und arbeitsame Bevölkerungsschicht….

Und nun zur [Propaganda-]Mission des Innenministers. [Er war in die Krisenregion gereist.] Sofort nach seiner Ankunft in dieser Provinz versuchte Talaat Bey die Bewegung zu stoppen, die unter seiner Schirmherrschaft erst geschaffen worden war. Er reiste von Stadt zu Stadt, um in öffentlichen Reden volle Wiederherstellung und perfekte Sicherheit zu versprechen; während dieser Farce konnte niemand sein Haus bei Nacht verlassen oder bei Tag auf seinen Feldern arbeiten, ohne beschossen oder erbarmungslos misshandelt zu werden. …

Um ein weiteres Kapitel dieser jämmerlichen Farce hinzuzufügen, bemühte sich die Regierung um Abgesandte [der Großmächte], um dem zivilisiertem Europa zu beweisen, dass es mit der Wiederherstellung ernstlich vorangeht. In Motorwagen & Spezialzügen führt sie diese Herren durch das Land, bei gutem Essen und besten Weinen, während die Opfer ihrer Gräuel um Brot betteln und von Wohltätigkeiten leben. Was diese Vertreter der Großmächte ihrer Regierung zu erzählen haben, weiß ich nicht, aber eines ist absolut sicher, wie immer ihre Berichte auch lauten werden: die grausamen Maßnahmen werden nicht aufhören, auch wenn sie weniger offen durchgeführt werden.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved