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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

02. Ausplünderung und Beraubung

Dokument 2.9

Hinweise für Lehrkräfte

Obwohl sonst keine kontroversen Debatten im Osmanischen Parlament stattfinden, gelang es dem prominenten Abgeordneten Ahmed Riza Kritik an der wirtschaftlichen Ausplünderung und dem entsprechenden Gesetz vorzubringen.

Quelle


Matthias Bjørnlund: www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1917-12-20-DK-001.






Durch dieses Gesetz bekamen die Behörden freie Hand.

Aus einem Bericht des dänischen Gesandten in Konstantinopel 20. Dezember 1917 an den Außenminister


Die jungtürkische Regierung duldet im osmanischen Parlament in der Regel keine Diskussion, weil sie der Bevölkerung keinen Einblick in die wichtigen Angelegenheiten geben will. Der Meinungsaustausch zwischen den türkischen Politikern findet auf den Geheimtreffen des Komitees [für Einheit und Fortschritt] statt, und die öffentlichen Diskussionen in den Kammern gaben nur scheinbar die Wahrheit wider. Wenn etwas Wichtiges ins Parlament kommt, ist das meist reine Formsache. Es ist längst im Komitee entschieden worden.

Eine Ausnahme von dieser Regel gibt es jedoch ab und zu im Senat, unter dessen Mitgliedern es einige Männer gibt, die beim Volk so hoch angesehen sind, dass sie keine Disziplinarstrafe fürchten müssen, wenn sie bei den seltenen Gelegenheiten kein Blatt vor den Mund nehmen und ihre Meinung offen sagen. Einer dieser Männer ist der Senator Ahmed Riza ... .

Soweit ich weiß, ist keine dieser Äußerungen in der Tagespresse erschienen, weder hier noch im Ausland, und ich finde es deshalb wichtig sie zu erwähnen … .

Auf der Senatsversammlung am 29. Oktober dieses Jahres tat sich Ahmed Riza zum Beispiel mit einigen Äußerungen hervor, die ein Licht darauf werfen, wie die türkischen Behörden die arabische, armenische und griechische Bevölkerung in der Türkei während des Krieges behandelt haben, ein Thema, über das sonst selten authentische Informationen an den Tag kommen, weil es äußerst geheim gehalten und bei jeder sich bietenden Gelegenheit öffentlich dementiert wird, so dass man häufig nicht weiß, was man glauben soll.

Im September 1915, am Tag vor der Parlamentssitzung, erließ die jungtürkische Regierung ein provisorisches Gesetz, welches sie nie gewagt hat, der Kammer zur Annahme vorzulegen, und das dazu geführt hat, dass große Teile der Bevölkerung völlig ausgeplündert wurden. Durch dieses Gesetz bekamen die Behörden freie Hand, das sogenannte „verlassene Eigentum“, d.h. das bewegliche und unbewegliche Eigentum, Schulden und Forderungen der von ihren Wohnsitzen vertriebenen Araber, Armeniern und Griechen aufzulösen - Eigentum, das die Behörden später recht willkürlich handhabten. …

[Dazu] nahm Ahmed Riza das Wort: „Ich würde auch gern wissen, was man meint mit dem Begriff ´verlassenes Eigentum´ meint. … Nach meiner Meinung bedeutet der Begriff ´verlassenes Eigentum´ ein Eigentum, das verlassen, das zurückgelassen worden ist. Niemand hat jedoch aus freien Stücken sein Eigentum zurückgelassen. Wir müssen einen passenden Ausdruck dafür finden und klar sagen: ´Das Gesetz zur Bewahrung des Eigentums der Armenier, Griechen und Araber, die aus politischer Notwendigkeit von ihren Heimstätten entfernt wurden´. Der Begriff ´verlassenes Eigentum´ ist nicht richtig, … In Wirklichkeit wurde die Bevölkerung aus ihrer Heimat vertrieben und mit Gewalt entführt, und ihr Eigentum wurde zurückgelassen. …

Sicher, die Regierung behauptet, dass sie das Recht gehabt hätte so zu handeln. Da ich diese Sache noch nicht vollständig geprüft habe, kann ich mich im Augenblick darüber nicht mit Bestimmtheit äußern. Die Regierung veröffentlicht Broschüren mit ihrer Sicht der Dinge. Lassen Sie uns davon ausgehen, dass jedes Wort in diesen Broschüren absolut stimmt. Ein Teil der Armenier und Griechen mag sehr wohl, wie die Regierung behauptet, Verräter gewesen sein. Diese gibt es unter Türken und unter Kurden genauso wie unter Armeniern. Aber das Gesetz legt eine Strafe für Verbrecher und für Verräter fest. Sie werden hingerichtet, aber niemals deportiert. Noch tötet man ihre Familien und beraubt sie ihres Vermögens. Das ist die reinste Schreckensherrschaft.“



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved