Mit vorzüglicher Hochachtung zeichnet ergebenst
Anlage 1
Nach diesen zwei Monaten ist kein Pfennig mehr gegeben worden und demnach ist die Zahl der Todesfälle unheimlich gestiegen.
In einem Dorfe der Umgegend von Homs starben in einer Woche hundert Personen hungers; sie gehörten einer unserer evangelischen Gemeinden an. Aus dieser einen lokalen Tatsache kann man leicht schliessen, wie Hunger und Krankheit an anderen Orten wüten. Von allen Seiten kommen die Hülferufe, Bitten um Brot und Geld. An vielen Orten sind die von der Regierung eingerichteten Hilfsstationen für die Ausgewiesenen längst aufgelöst. Die Strassen, Dörfer, Steppen von Konia bis Mossul & Aleppo bis Kâan (bei dem Toten Meer) sind mit Gräbern und unbegrabenen Leichen besät. Die Geier und Schakale sind des Aufräumens müde. Am Anfang hatten die Leute noch manches bei sich, aber sie wurden unterwegs ausgeraubt, sogar die Leibwäsche wurde manchen abgenommen. Vieles haben sie auch selbst verkauft und verzehrt. Jetzt ist ihnen nichts geblieben. Jemand sagte mir: “Wir haben unsere Decken verkauft und das Stück Teppich auf dem wir sassen oder lagen, alles bis zu unseren Trinkgefässen. Wir baten unterwegs Bauern, uns zu helfen, aber sie wiesen uns ab mit der Bemerkung, sie würden uns Brot geben, wenn wir ihnen unsere Kinder verkauften.” Viele haben dies auch getan, es wurden Kinder verkauft zu 2 medjidije. Die Zahl der kranken verhungernden Kinder ist Legion. Die Leute auf der Strasse, ohne Heim, ohne Nahrung, ohne Kleidung, ohne jede ärztliche Hülfe; dabei ist alles furchtbar teuer; kann ein Volk so weiter existieren? Sogar hier in Aleppo gibt es Leute, die verhungern. Ein Mann sagte: “Wir waren eine Familie von elf Personen und ich bin allein am Leben.” Ein kleines Mädchen erzählte: “Wir waren unserer zehn, ich bin allein übrig.” Eine Mutter sagte bitterlich weinend: “Ich hatte sechs Kinder, davon sind vier Hungers gestorben und die anderen zwei liegen in den letzten Zügen.”
Ich möchte nicht mehr Tatsachen aufzählen. Die erwähnten genügen, um einem Mann der Barmherzigkeit und des Gewissens ein Bild zu geben von dem, was hier vorgeht. Im Namen der Menschlichkeit, im Namen des Christentums erbarmt euch dieses unglücklichen, hungernden, niedergetretenen Volkes, eines sterbenden Volkes. Wenn möglich gebt ein Stück Brot in die Kinderhände, die sich hungrig ausstrecken; wenn nicht gedenkt ihrer wenigstens in Mitleid und Erbarmen.
Anlage 2
Bericht von Schwester Beatrice Rohner.
Abschrift.
Heute nun kam das Telegramm mit der Einwilligung; ich glaube, wir müssen in dieser Sache tun was wir können, so unangenehm das Zusammenarbeiten mit der Behörde sein mag; vielleicht bedeutet es einen wichtigen Schritt für die Zukunft der Arbeit hier im Lande.
Das Haus in dem die Kinder – gegenwärtig 311 an der Zahl – untergebracht sind, liegt im Innern der Stadt und gehörte einem französischen Orden; beim Ausbruch des Krieges wurden die Schwestern ausgewiesen und das Gebäude requiriert. Demnächst hausten monatelang Soldaten darin, dann wurde es den durchkommenden Ausgewiesenen zur Verfügung gestellt.
Tausende kamen und gingen, wurden krank und starben, oder genasen dort. 50 % der Kinderchen sind gestorben; die noch lebenden sind in einem jammervollen Zustand. Das ganze Haus ist verseucht, beschmutzt, halb demoliert. Wir sahen uns nach einem anderen vergeblich um; alle besseren Gebäude sind als Lazarette und Schulen eingerichtet. Dr. 1.....den Vorschlag machen, die Kinder nach Dscherablus am Euphrat ( 3 Stunden Bahnfahrt von hier) zu überführen, und in den leer gewordenen Baracken der Gesellschaft unterzubringen, aber wie wir hören, wütet dort der Flecktyphus noch mehr als hier. Wenn die Kinder gerettet werden sollen, müssen wir die Arbeit sofort in Angriff nehmen; in 1-2 Wochen erwarte ich Paula mit 1-2 Mädchen; inzwischen kriege ich die Beamten zu den nötigen Reparaturen heran und richte mich dort notdürftig ein.
Jetzt ist Bab, südöstlich von hier das Centrum für neue Ausgewiesene; dort sterben sie zu Tausenden an Hunger und Seuche. Den ganzen Tag wird begraben. Von Aintab werden die letzten Armenier ausgewiesen; ich fürchte, dann kommt das arme Marasch noch einmal an die Reihe.
Anbei ein Bericht des hiesigen Predigers.